Ein frischer Wind wehte durch die Narrhalla

„Wieder einmal geh’n die Lichter nach `ner langen Sitzung aus“ – es ist, wie jedes Jahr, einer der emotionalsten Momente der etwa fünfeinhalbstündigen Sitzung der Baumholderer Karnevalsgesellschaft (BKG). Als Sitzungspräsident Frank Meschenmoser am Samstag seine liebgewordenen Abschiedsworte spricht, übermannen ihn die Gefühle. Er muss schlucken, mit den Tränen kämpfen. Die Anspannungen fallen ab, es überwiegt das Gefühl, eine rundum gelungene Prunksitzung abgeliefert zu haben. Das gilt für Meschenmoser genauso wie für die etwa 170 Aktiven, die das Programm gestalten. Das Publikum in der ausverkauften Brühlhalle honoriert Meschenmosers emotionalen Augenblick mit langem und herzlichem Beifall.

Die Worte des Sitzungspräsidenten am Ende jeder Sitzung haben Tradition. Genau wie das gemeinsame Singen der Vereinshymne „Schönes Baumholder“ weit nach Mitternacht. Viele Programmteile haben sich mittlerweile zu Fixpunkten entwickelt. Und doch war in der Session 2018/19 Einiges neu. Ein frischer Wind wehte durch die Narrhalla. Und das fing schon bei der Begrüßung an. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten ist es nicht der heutige Ehrenvorsitzende Dieter Heinz, der die Fanfarenbläser ankündigt. Für den neuen Vorsitzenden Dirk Kaps ist es eine Premiere, sein Technikpult am Ende der Halle zu verlassen, um an vorderster Front in die Sitzung einzusteigen. Für ihn bietet sich ein „ungewohntes Bild“, wie er eingesteht. Die Fanfarenbläser Tim Lorscheider, Peter Glück, Erhard Becker und Desirée Rausch sind dann schon wieder einer dieser Fixpunkte. „Seit 33 Jahren schon eröffnen sie unsere Narrenschau“, sagt Kaps.

Der erste Tanz des Abends ist dann wieder eine Premiere. Zum ersten Mal überhaupt sind die Zappelinos Teil einer BKG-Prunksitzung. Erst im Sommer des vergangenen Jahres auf den Weg gebracht, so Meschenmoser, zeigen die fünf- bis achtjährigen Jungs einen Boxkampf der besonderen Art. Perfekt geschminkt mit Veilchen und Nähten begeistern sie das Publikum zur Musik der „Rocky“-Filme. Logische Konsequenz: Eine Rakete. Und Meschenmosers Lob: „Wir sind stolz auf Euch!“ Und weiter geht es im Premieren-Programm: Gleich drei Tanzmariechen – Marlin Scherne, Johanna Kaps und Viktoria Bozhilova – verdienen sich ihre Rakete mit viel Temperament, mit Schwung und Grazie. „Ich bin überwältigt. Ich hätte nie gedacht, dass hier in Baumholder mal drei Mariechen gleichzeitig auf der Bühne stehen“, freut sich der Sitzungspräsident über diesen „Hammer-Vortrag“. Und dankt gleichzeitig Trainerin Michelle Trum, die bis zum vergangenen Jahr das BKG-Tanzmariechen war – 14 Jahre lang.  Ihr zur Seite als Trainerin steht Heike Bier.  Während damit für Johanna und Marlin, die beide in den BKG-Garden aktiv sind, ein lange gehegter Traum in Erfüllung geht, hat sich die sechsjährige Viktoria erst vor kurzem das tänzerische Talent herauskristallisiert. „Sie wurde im vergangenen Jahr an Rosenmontag hier auf der Bühne entdeckt, bis dahin hatte sie mit Tanzen nie was am Hut“, so Meschenmoser. Apropos Hut: Das Sessionsmotto „Alles unter einem Hut“ findet sich an diesem Abend in zahlreichen Beiträgen. Vor allem in den Tänzen.

Aber zurück zum BKG-Nachwuchs: Eisbrecher in der Bütt ist Luca Loewe, der sich mit seinem frei gehaltenen Vortrag „Endlich 18“ gleich über Standing Ovations freuen darf. Und Meschenmoser freut sich über „ein neues Gesicht in der Baamholler Fastnacht“. Der Berglangenbacher, der tatsächlich im Februar 18 Jahre alt geworden ist, habe unbedingt einmal, das betont der Sitzungspräsident, nach Baumholder zur BKG „auf die Bretter, die die Welt bedeuten“ gewollt. Meschenmosers Urteil: „Feuerprobe supergut bestanden.“

Was dann in der Bütt folgt, sind alte Hasen in der BKG. Lokalkanone Dieter Heinz beleuchtet, wie von ihm gewohnt, kritisch das Stadtgeschehen. Und hat dabei vor allem die Feste 2018 im Blick. Einem starken Kräutermarkt, so resümiert Heinz, folgte ein Lindenfest, „das aus dem Veranstaltungskalender still und heimlich verschwunden ist“: „Und war das auch immer scheen, das Linnefest wird nicht auferstehen.“ Und weiter: „Auch der Triathlon war nur eine halbe Sach, denn der Badesee hat wieder blau gemach`.“ Auch das Fest parallel zur Deutschland-Rallye steht auf der Kippe: „Höhepunkt ist stets das Altstadtfest im August, doch da verliere die Verantwortliche langsam die Lust.“ Schließlich falle ihm kein vergleichbares Fest in anderen Städten ein, bei dem die Kommune nicht ihre Finger im Spiel habe und vor allem nicht finanziell unterstütze. Es folgte, so Heinz weiter, eine Kirmes ohne Fahrgeschäfte und ein Weihnachtsmarkt, der witterungsbedingt abgesagt werden musste. Aber Heinz hat auch Positives entdeckt: „Es gibt auch ein Bespiel für eine gelungene Super-Idee: Das war die Weihnachtsaktion der DLRG.“

Gisela Möller und Peter Pickard betreiben als Erna und Lisbeth einen Catering-Service und lästern über so manchen Baumholder Bürger, während sie die Bestellungen entgegen nehmen. Yannick Simon blickt als „Bote aus Berlin“, flankiert von zwei stramm stehenden preußischen Soldaten, auf das vergangene Jahr zurück – auf Trump und Brexit genauso wie auf regionale Themen. Das größtenteils ohne auf sein Manuskript zu blicken. Und mit Berliner Schnauze. Das Publikum erhebt sich von seinen Plätzen, und Meschenmoser lobt: „Er hat sich im Reigen der Redner etabliert und ist der ungekrönte König der Dialekte.“ Bernd Mai und Jürgen Geibel, ausgestattet mit Warnwesten und Polizeikelle, geben in diesem Jahr die „Fleckechecker“. Verbinden dabei Witze mit Lokalkolorit und Wortspielen. Mai: „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die, die mit alle Wasser gewäscht sind, nicht ganz sauber sind.“ Auch hier spart Meschenmoser nicht mit Lob: „Sie sind berühmt-berüchtigt für genialen Kokolores; und sie werden immer genialer.“

Immer genialer wird auch das Männerballett. Wer glaubte, in der Sitzung 2018 die Spitze des Eisbergs erlebt zu haben, der wird in diesem Jahr eines besseren belehrt. Neben der klassischen Hitparade – von Wolfgang Petry bis zu Britney Spears` „Hit me one more time“ – präsentieren die 16 Männer „Evolution of Dance“. Und das findet nicht nur Meschenmoser „hochkarätig“. Das Publikum steht auf, klatscht lange Beifall für synchrone Bewegungen, für eine wunderbare Musikauswahl und tänzerische Höchstleistungen. Verantwortlich dafür ist auch Trainerin Nadine Norvell, die selbst die Garden der BKG von den Wonneproppen bis zur Prinzengarde durchlaufen hat.

Die Prinzengarde überrascht nicht mehr mit ihrer Leistung. Und das im positiven Sinn. Denn Jahr für Jahr liefert sie ein perfektes Rundumpaket. Nicht nur beim Gardemarsch, vor allem beim Showtanz: Thema, Kostüme, Schminke, Musik und Tanz harmonieren wunderbar. Unter der Leitung von Svenja Eckstein, Kerstin Rott und Bianca Andres begeistern sie auch an diesem Fastnachtswochenende mit „Auf See – Eine Reise durch die Länder der Hüte“ und erhalten dafür eine Rakete. Meschenmosers Fazit: „Das war nicht nur akkurat synchron; auch das Motto wurde hundertprozentig tänzerisch umgesetzt.“

Nicht zu übersehen ist, dass die höchste Garde der BKG denn auch das Vorbild für die Jüngeren ist. In die „magische Welt von Harry Potter“ entführt beispielsweise die Jugendgarde unter ihren Trainerinnen Vivian Staudt und Maren Meschenmoser. Auch für sie gilt: wunderbare Kostüme, Tanz und Akrobatik passen einfach. Kurz: „Wahres Können gepaart mit tänzerischer Höchstleistung“, wie es der Sitzungspräsident ausdrückt.

Die Minigarde mit ihren Trainerinnen Esther Kaps und Christine Scherer-Brunk überzeugt ganz ohne aufwändige Kostüme in ihrer klassischen Gardeuniform. Dabei beindruckt nicht nur die Synchronität, sondern auch die Masse: 17 Mädels auf der Bühne ergibt ein wunderbares Bild. Und dann sind da noch die Wonneproppen mit ihrem Pinguin-Tanz. Unter der Leitung von Claudia Paffendorf ist ihnen der Spaß am Tanzen anzumerken. Und am Watscheln wie ein Pinguin, was Meschenmoser sogleich imitiert.

Weniger mit Tanz als mit Gesang begeistern Session für Session die Westrich-Sänger unter der Führung von Tina Hauch. Immer mehr wird der Schwerpunkt dabei auf die Gesangsqualität gelegt, mittlerweile rappen sie sogar. So gibt es besonders viel Beifall für die A-Capella-Version von „Was wollen wir trinken“. Lokalkolorit bringen sie mit dem Lied „Was für ein geiles Baumholder“ zur Melodie von Ben Zuckers „Was für eine geile Zeit“ in ihren Auftritt.

In keine Schublade passt – auch das hat Tradition – der Auftritt der Damen und Namen. Musik, Sketch, Tanz – alles ist dabei. Und Meschenmoser bringt es auf den Punkt, wenn er von „Einfallsreichtum“ spricht. Die Truppe zeigt, wie aus einem Stück Stoff mit Loch im Handumdrehen eine ganze Reihe von Hüten gemacht werden kann. Mal eine Zwergenmütze, mal ein Cowboyhut, mal ein Boxhelm. Es ist zu erkennen, dass da jede Menge konsequente Arbeit dahinter steckt. Auch hier haben sich die Trainerinnen Esther Kaps und Manuela Heidrich ein dickes Lob verdient.

Und wenn wieder einmal die Lichter nach einer langen Sitzung ausgehen, dann kann die BKG zufrieden zurück blicken. Auf zwei äußerst kurzweilige Sitzungen, auf ein gut aufgelegtes Prinzenpaar – Melissa I. und Patrick I. – auf Schunkelmusik mit der Band Take Two, auf altgediente und neue Akteure aus den eigenen Reihen. Und auf einen Sitzungspräsidenten, der Emotionen zeigt.

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